07.11.2020 Richard Didicher

Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom auch im Umgang mit Tieren

Durch die Presse geistern immer mehr Geschichten dieser Art:

Ein kleiner Junge wird von seiner Mutter aufopferungsvoll gepflegt, denn er ist krank. Er leidet an Sehstörungen, Epilepsie, Magen- und Darmproblemen. Der Vater, angeblich ein labiler, an Spielsucht leidender Mann, der sich immer wieder der Heilung entzieht, quält das Kind, in dem er es in Abwesenheit der Mutter in kleine, dunkle Räume verfrachtet, um das Elend zu verstecken.

Die Welt bewundert diese aufopferungsvolle Frau, die den Vater öffentlich auffordert, zu seiner Tat zu stehen und sich behandeln zu lassen, die Ärzte und Freunde anprangert, zu zusehen und nicht zu helfen.

Doch nichts ist so, wie es scheint: Nicht das Kind ist krank, sondern die Mutter, sie leidet am so genannten Münchhausen – Stellvertreter – Syndrom.

Auszug aus dem Psychologie Lexikon:

“Beim Münchhausen-Stellvertretersyndrom handelt es sich um eine psychische Störung, bei der die psychisch Gestörten andere Personen oder Tiere (Haustiere zumeist) als Symptomträger ausnutzen oder sogar dazu machen. Das heißt, die Personen mit Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom versuchen Aufmerksamkeit und Interesse zu bekommen bzw. als Retter oder Helfer zu erscheinen, indem sie Krankheitssymptome bei anderen (meist hilflose Kinder und Tiere) erfinden oder sogar selbst hervorrufen.

Die Wissenschaft hat schon vor längerem auf dieses Thema hingewiesen, vor einigen Jahren griff auch ein großes Hundeforum DOGS diese Problematik auf:

Beitrag 3.10.2010, 18:47

„Zum Beispiel gibt es da eine Frau, die immer wieder betont, wie sehr sie ihren Hund liebt, obwohl er ständig so krank ist und ihr so viel Mühe macht. Auffällig dabei sind die ständig wechselnden Krankheitsbilder und dass sie ständig den Tierarzt wechselt. (…). Diese Hundehalterin druckt seitenweise Berichte über Hundekrankheiten aus dem Internet aus, besitzt jede Menge Literatur über Veterinärmedizin und beobachtet ihren Hund mit Argusaugen, ob er eine Veränderung zeigt. Aus "medizinischen" Gründen darf er kaum mit anderen Hunden kommunizieren, sich nur eingeschränkt bewegen und bekommt grammgenau Spezialfutter zugeteilt. Dazu aber auch jede Menge „Spezialpräparate“.(…..)

Es muss doch jemand die Schuld an all diesen erfundenen Beschwerden haben. Schließlich wurde der Hund bestimmt aus finanziellen Interessen gezüchtet. Allein schon der Deckakt und die Geburt sind Tierquälerei und sollten verhindert werden.

(Aber woher käme dann der „kranke“ Welpe, der gepflegt und umsorgt werden muss?)

Aufopfernd, Hilfe suchend, unverstanden und allein gelassen schreit und schreibt man seinen „Schmerz“ in die Welt und konstruiert Feindbilder.

Das Internet ist geduldig und Facebook und Twitter lechzen nach solchen Usern.

Wir sind gerührt.

Auch Tierärzte fallen manchmal auf diese redegewandten und besorgten Kunden rein. E s ist ja schließlich nicht zu ihrem Nachteil, wenn diese zwei Mal wöchentlich sich in der Praxis sehen lassen.

Fakt ist aber auch, dass solche Menschen, die aufbrausend, unausgeglichen und laut sein können, wenn sie ihren Willen nicht durchzusetzen vermögen, Tiere wirklich krank machen. Neuere Erkenntnisse über die Erforschung von Spiegelneuronen (spezielle Verschaltungen von Nervenbahnen im Gehirn, die für das Einfühlungsvermögen des jeweiligen Individuums zuständig sind) bei Hunden haben ergeben, dass es eine größere Übereinstimmung der Verschaltungen zwischen Mensch und Hund gibt als zwischen Mensch und Schimpanse, obwohl mit letzterem mehr als 98% genetische Übereinstimmung besteht.

Der Hund kann also unsere Gefühlswelt verstehen, ist damit aber auch dem Risiko einer potentiellen Überforderung ausgesetzt, denn er kann die cholerischen Ausbrüche der Menschen nicht deuten und verzweifelt.

Das Böse im Menschen macht andere Menschen aber auch Tiere krank.

Richard Didicher

P.S.: Ein sanfter Blick eines zufriedenen, gesunden kleinen Hundes, der es sich auf dem Schoß meiner Frau bequem gemacht hat, der aber unbedingt krank sein sollte und der nie krank war. Gut, dass er nicht weiß, wieviel Leid ihm kranke Menschen wahrscheinlich zugefügt hätten.